Ob Kinderschänder, Mörder oder IS-Terroristen – Martin Burkhardt hat sie alle schon auf Papier gebannt. Der 34-jährige gebürtige Heilbronner ist einer von nur einer Handvoll Gerichtszeichnern im ganzen Land. Um aus dem Gerichtssaal mit Stift und Pinsel zu berichten, reist er schon mal nach Bonn, Leipzig oder Hannover. Doch auch in seiner Heimat Mannheim ist Burkhardts Arbeit gefragt – sei es beim Prozess zum Mordfall Gabriele Z. oder im Kachelmann-Prozess, den er von Anfang bis Ende begleitete. Mit seinen Zeichnungen vermittelt der Diplom-Designer die Atmosphäre im Gerichtssaal einem Millionenpublikum. Denn wenn Fotografen und Kamerateams zu Prozessbeginn den Saal verlassen müssen, darf Martin Burkhardt bleiben. Beim Kachelmann-Prozess haben ARD, RTL, Süddeutsche, Bild und SpiegelOnline auf seine „exklusiven Bilder“ aus dem Gerichtssaal zurückgegriffen.

Wo es später einmal hingehen sollte, war Burkhardt früh klar: „Ich habe schon in der Schule immer gezeichnet.“ Nach dem Zivildienst studierte er Kommunikationsdesign mit Fokus auf Illustrieren und Zeichnen an der Hochschule Mannheim und machte sich noch vor dem Abschluss als freischaffender Illustrator selbstständig. Vom Gerichtszeichnen allein kann er nicht leben – „es ist kein Job, den man hauptberuflich ausführen kann, da Gerichtszeichner nur bei besonderen Prozessen benötigt werden“. Hauptsächlich verdiene er sein Geld mit Illustrationen für Designbüros und Werbeagenturen. Von seiner Berufswahl ist Burkhardt überzeugt: „Es geht immer vorwärts, immer aufwärts – an meinem Weg wird sich nichts ändern.“  – von brotloser Kunst keine Spur.  Die nötigen Kontakte stammen großteils noch aus der Studienzeit.

Auch zum Gerichtszeichnen kam er früh. 2003 entdeckte er eine Annonce am Schwarzen Brett der Fakultät für Gestaltung. Das Rhein-Neckar-Fernsehen suchte einen Zeichner, der Bildmaterial „hinter geschlossenen Türen“ anfertigen konnte. Denn die Zeichnung ist in Deutschland die einzig mögliche bildliche Darstellung aus einem Gerichtsverfahren – das Filmen und Fotografieren sind verboten. Seitdem schnappt sich Martin Burkhardt für bis zu zehn Prozesse im Jahr seinen Aktenkoffer – gefüllt mit Block, Bleistift, Pinsel, Filzstift, einem mit Wasser gefüllten Tintenfässchen und Aquarellfarben – und macht sich auf zu seinem Arbeitsplatz.

Sein Ziel ist es, dem Betrachter einen Einblick in das Prozessgeschehen zu geben. Dabei kann er eigene Schwerpunkte setzen, Unwichtiges weglassen. Seine Arbeit sei dennoch eher eine Dienstleistung als eine Kunst. Allzu groß sind seine Freiheiten nicht: „Die Bilder müssen die Wahrheit wiedergeben“, sagt er. Gerade bei Fällen mit Prominenten müsse eine Wiedererkennbarkeit gegeben sein. Das ist selten einfach – kein Einsatzort ist wie der andere. „Im Saal ist nicht immer ein Tisch verfügbar, manchmal zeichne ich auch mit dem Block auf den Knien“, beschreibt Burkhardt eine Schwierigkeit. Ein anderes Mal muss er bei einem Rocker-Prozess gleich 70 Personen zeichnen, rund 20 Angeklagte und ihre Anwälte. Das dauert gut und gerne zwei bis drei Stunden.  „Manchmal habe ich für einen Zeugen aber nur fünf Minuten Zeit zum Zeichnen, bevor der Richter die Öffentlichkeit ausschließt“, so Burkhardt. Dann muss sogar er den Saal verlassen. Kamerateams und Fotografen sind zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr in der Kammer. Wenn er abbrechen muss, zeichnet Burkhardt vor dem Saal weiter. Die Vorzeichnung mit Bleistift koloriert er aus dem Gedächtnis. Zeit ist ohnehin ein wichtiger Faktor. In der Pause oder direkt nach der Verhandlung muss er zu den wartenden Fernseh-Journalisten hetzen. „Die Bilder werden dann direkt vor dem Saal abgefilmt und kurz darauf gesendet.“

Seine Originalzeichnung überlässt er dem Auftraggeber jedoch nicht – selbst wenn dieser das alleinige Nutzungsrecht erworben hat. „Ich sammle meine Originale – die möchte ich nicht verkaufen.“ Allein für eine Doku-Reihe der ARD über das Amtsgericht Leipzig hat er jüngst 70 Zeichnungen angefertigt. Mittlerweile sind mindestens ein paar Hundert zusammengekommen, schätzt er.

Von Janek Mayer

 

Ein Artikel aus der ILMA 02/2016
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Bildmaterial von Martin Burkhardt
Mehr über Martin könnt ihr auf seiner Homepage erfahren