Für viele ist es ein Traum eines Tages berühmt zu werden. Schreiende Fans, Glitzer, Glamour, der rote Teppich – das volle Programm. Wer möchte denn nicht in Geld baden und sich keine Sorgen mehr machen müssen? Die meisten stellen sich den Beruf des Schauspielers bzw. der Schauspielerin genau so vor. Allerdings wagt es dabei kaum jemand, hinter den Vorhang zu schauen. Für ausgebildete Schauspieler, die nicht durch Film und Fernsehen bekannt sind, in zeitlich begrenzten Verträgen am Theater arbeiten oder gar freischaffend tätig sind, kann es mitunter schwer werden sich den notwendigen Lebensunterhalt zu verdienen.

 

Wir haben uns mit der studierten Schauspielerin Ragna Pitoll getroffen, die seit vielen Jahren zum festen Ensemble des Nationaltheaters Mannheim gehört.

 

Ragna, wie bist du zur Schauspielerei gekommen?

Ich begann mit fünf Jahren meine musikalische Ausbildung am Klavier, das übliche Vorinstrument. Etwa acht Jahre hat sie gedauert. Ich habe in dieser Zeit viel gelernt, das Klavierspielen jedoch leider nur leidlich. Das Leben war klüger und hat mir mit einem missglückten Vorspiel an der Spezialmusikschule Berlin den weiteren Weg als Musikerin versperrt! Doch bald öffnete sich nach kurzer Trauerzeit eine andere, für mich weit  faszinierende Tür. In unsere Klasse kam eine neue Schülerin, Gerit Kling, heute sicher vielen bekannt durch Film und Fernsehen. Sie wurde meine beste Freundin und als ihre Eltern sie in einem Theaterzirkel anmeldeten, ging ich einfach mit. Von nun an ließ mich das Theater nicht mehr los. Ich hatte einen Raum entdeckt, oft nenne ich ihn „mein Ställchen“, in dem ich auf andere Art „das Laufen“ lernen durfte, in dem ich mit fremden Texten Erfahrungen machen konnte, wie sie mir damals im realen Leben unmöglich gewesen wären.

 

War es damals schwierig, eine Schule zu finden, die dich angenommen hat? Wie läuft die Ausbildung ab, hast du an einer staatlichen oder privaten Schule gelernt?

Ich komme, wie gesagt, aus der ehemaligen DDR und habe an den verschiedenen staatlichen Schulen vorgesprochen, private Schulen gab es bei uns nicht. Es galt jeweils zwei Runden zu überstehen: den Eignungstest und die Eignungsprüfung. Nach zweijährigem Prüfungsmarathon, im Jahr 1985, war es dann endlich soweit und ich begann überglücklich mein Studium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ – Außenstelle Rostock. Während des Studiums wurde noch sehr stark ausgesiebt. 20 von Hunderten hatten die Prüfung bestanden, wobei klar war, dass nur etwa die Hälfte von uns das Studium abschließen werden. Du willst dich auf einer großen Bühne ausprobieren? Dann organisiere sie dir. Suche dir Leute, stelle eine Szenencollage zusammen, kontaktiere Theater, organisiere dir ein Auto und los geht’s! Schnell habe ich – dank Rostock – begriffen, dass es an mir liegt, ob und wie ich später beschäftigt sein würde. Es ist nun mal nicht so, dass ein Regisseur auf dich zukommt und dir sagt, wie talentiert du bist. Du musst es ihm und dem Rest der Welt beweisen und zwar immer wieder neu! Es brauchte und braucht bis heute sehr viel Disziplin, Ausdauer, Übung, einen langen Atem, manchmal auch einen Dickschädel und besondere Menschen, die nicht müde werden, an dich zu glauben.

 

Gab es während deiner Ausbildung bzw. deines Studiums finanzielle Unterstützung?

Tatsächlich wurde ich während meiner Studienzeit vom Staat finanziell unterstützt. Jugendliche sollten ihren Berufswunsch unabhängig von den Eltern wählen dürfen. Dazu mussten sie finanziell unabhängig sein. Wir erhielten also monatlich Geld, mit dem man über die Runden kommen konnte. Bei mir waren das, einschließlich Leistungsstipendium, 300 Mark, von denen zehn Mark für das Zimmer im Wohnheim abgezogen wurden. Das war schon sehr luxuriös verglichen mit den Bedingungen vieler heutiger Studenten. Man konnte sich voll dem Studium widmen und musste nicht nebenbei noch Pizza austragen oder Ähnliches.

 

Wie ging es dann nach deinem Studium weiter?

Ich hatte großes Glück und durfte im dritten Studienjahr neben kleineren Rollen die „Polly“ in der „Dreigroschenoper“ am Volkstheater Rostock spielen. Damals war man verpflichtet, im ersten Engagement drei Jahre zu verbleiben. Das war für uns von großem Vorteil, weil man die im Studium erworbenen Kenntnisse direkt in der Praxis weiterentwickeln konnte. Klassik, Musiktheater, Musical, Chanson-Abende – ich durfte mich „querbeet“ ausprobieren und das ist nach dem Studium das Beste, was dir passieren kann! 1989 schloss ich mein Studium ab, zeitgleich mit dem Mauerfall. Zur selben Zeit erhielt ich ein Gastangebot in Hamburg am Schauspielhaus, das ich drei Wochen nach der Geburt meiner Tochter antrat. Mein Mann nahm sich damals unbezahlten Urlaub und begleitete mich – sonst wäre das wohl schwer möglich gewesen. Nach Beendigung des Gastvertrages liefen auch die ersten Jahre in Rostock aus. Gleichzeitig wuchs die eigene Neugierde auf eine nun sehr viel größere Auswahl an Städten und Theatern oder auch an Filmproduktionsfirmen. Ich kündigte erstmalig und meine Reise führte mich zuerst in den Ruhrpott nach Dortmund, dann zum Heidelberger Theater. Nach Heidelberg und inzwischen 7 Jahren „Tag- und Nachttheater“ verlangte es mich nach einer Pause und der Stadt meiner Familie. Wir zogen nach Berlin. Ich gastierte in Düsseldorf, an den Sophiensälen in Berlin und in Münster. Ich fand eine Filmagentur, drehte verschiedene Formate, unter anderem eine Comedy-Serie, arbeitete als Gärtnerin, bis es mich wieder in ein festes Engagement zog – diesmal nach Wiesbaden. Da ich meine Tochter in dieser Zeit nur wenig erleben konnte, ging ich nach zwei Spielzeiten wieder zurück nach Berlin.

 

Du bist ja echt schon viel rumgekommen! War es sonst auch immer so schwierig, Familie und den Beruf unter einen Hut zu bekommen?

Das solltest du besser meine Tochter fragen! Heute sage ich ganz klar: Ja, es war schwierig. Alles andere wäre beschönigend. Ich habe es aber über weite Strecken nicht so empfunden, da ich auch immer große Freude am Spielen und den immer neuen Herausforderungen hatte. Ich war seit dem siebten Lebensjahr meiner Tochter alleinerziehend. Manchmal ging fast alles verdiente Geld für die Kinderbetreuung drauf. Am Abend musste, zusätzlich zur Betreuung am Vormittag, eine Kinderfrau gesucht werden. Wenn müde Kollegen dann am Abend zur Probe kamen, begann für mich fast so etwas wie „Freizeit“. Damals war das Verständnis für Mütter mit Kindern am Theater noch sehr viel weniger ausgeprägt und im Vergleich zu den Männern verdiente man relativ wenig. Letzteres fängt man gerade an vorsichtig zu verändern. Dennoch muss ich sagen, dass ich über all die Jahre vom Glück verfolgt war. Es ist nicht selbstverständlich, dass man mit diesem Beruf, vor allem als Frau, immer seine Miete aufbringt und Arbeit hat. Ich hatte das große Glück, immer Menschen zu kennen, die an mich geglaubt und die mir geholfen haben. Außerdem habe ich eine großartige Tochter, die mich irgendwie „überlebt“ hat und heute glückliche Psychologie-Studentin ist.

 

Wann hat es dich in die Metropolregion Rhein-Neckar verschlagen?

Zurück in Berlin war ich wieder freischaffend tätig und gastierte neben Dreharbeiten meistens an Theatern im Süden Deutschlands – Mannheim, Mainz, Köln, Stuttgart. Als ich dann von Mannheim ein Festangebot erhielt und meine Tochter sowieso von der Grundschule in die Oberstufe wechseln musste, zogen wir von Berlin nach Mannheim. Inzwischen fühle ich mich sehr verbunden mit der Stadt, dem Theater und seinem sehr treuen Publikum. Es gibt hier ungewöhnlich viel Raum und Förderung für Kunst und Kultur.

 

Wie würdest du deinen Beruf in drei Worten beschreiben? Was macht deinen Beruf so einzigartig?

Aufregend, erneuernd, bereichernd. Für mich ist die Ballung an Überraschendem in diesen Beruf so einzigartig. Man muss immer offen und in Bewegung bleiben – körperlich wie mental! Menschen, Rollen und neue Konstellationen bringen immer wieder überraschend Neues in dir zum Schwingen.

 

Gab es auch Momente, in denen du Zweifel oder Existenzsorgen hattest und an einen Neustart gedacht hast?

Aufregend, erneuernd, bereichernd. Für mich ist die Ballung an Überraschendem in diesen Beruf so einzigartig. Man muss immer offen und in Bewegung bleiben – körperlich wie mental! Menschen, Rollen und neue Konstellationen bringen immer wieder überraschend Neues in dir zum Schwingen.

 

Viele stellen sich die Filmwelt immer toll und berauschend vor. Ist es schwer, von der einen Branche, also vom Theater, in die andere, also den Film, zu wechseln?

Grundsätzlich ist es die gleiche Ausbildung. Es gibt Schulen, wie z.B. die Babelsberger Filmhochschule, wo die Studenten schon früh Erfahrung mit der Kamera machen können, zum Beispiel in den ersten Filmen von Filmstudenten oder zusätzlichen Kamera-Workshops.

 

Welche Rolle hat dich bisher am meisten gefordert?

In dem Stück „Ein anderer Tag“ habe ich mal eine demenzkranke Frau verkörpert. Die Auseinandersetzung mit dieser Rolle war sehr persönlich, da bei meinem Vater in dieser Zeit die Demenz diagnostiziert wurde.

 

Wie sieht bei dir ein Tag, eine Woche, ein Monat aus? Wie weit im Voraus kann man planen?

Langfristig planen kann man nicht wirklich. Wir bekommen heute unseren Probenplan für morgen. Am Vormittag geht die Probe in der Regel von 10 bis 14 Uhr, am Abend ist Vorstellung oder nochmals Probe von 18 bis 22 Uhr. Es gibt bestimmte Regeln, wie z.B. dass zwischen Probe und Vorstellung mindestens vier Stunden frei sein müssen. Ansonsten gibt es Rituale vor einer Vorstellung, wie Maskenzeiten, Einsprechen, Text durchgehen usw. Das einzig Regelmäßige ist die Unregelmäßigkeit!

 

Was wünscht du dir für die Zukunft? Welche Rollen reizen dich?

Rollen in glücklichen und spannenden Konstellationen und solche, die einer Dramaturgie entspringen und sinnliches, szenisches Spiel ermöglichen.

 

Was rätst du jungen Menschen, die sich in ihrer Berufswahl noch unschlüssig sind?

Nimm dir Zeit für die Suche! Das Leben ist zu schön und zu kurz um an einem Platz zu landen, der einen nicht freudig ausfüllt und fordert! Darauf hören, was der Bauch sagt! Meine Tochter hat, als sie 15 Jahre alt war, einen echt schönen Spruch von P. Mclean auf ihren Spiegel geschrieben: „Die Stimme der Seele könnte immer die richtige Wahl empfehlen, wenn sie nicht durch die Gier des Wollens zum Schweigen gebracht würde.“

 

Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, Ragna!

//sw